Der Wille entscheidet

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Der Wille entscheidet

Eine Reise an sehr dunkle Orte und wieder zurück

Um zu beschreiben, warum diese Route etwas Besonders für mich ist, muss ich etwas ausholen. Es geht nicht um die Zahlen und Fakten. Es geht um Motivation, Stil und -schlicht und einfach- Angst.
Mit dieser Route endet meine Saison und das Bergjahr. 2022 war für mich ein Jahr extremer Gegensätze und emotionaler Herausforderungen. Auf der einen Seite gab es viele sehr schöne Momente, außerdem normalisierte sich Vieles geschäftlich und privat. Ich war gesund, fit und motiviert.
Auf der anderen Seite erlebte ich eine der schwierigsten Phasen, die ich als Mensch und Alpinist zu verarbeiten hatte. Ohnehin nach den letzten Jahren emotional nicht in Topform, hatte ich ganz schön zu beißen.

Im Mai trainierte ich mit einer Gruppe Vollprofis, die Arbeit war gut, superintensiv und wir waren auf einer Wellenlänge. Es war einer der Aufträge, bei denen der Trainer genauso viel lernen darf wie die Athleten. Die Zielstrebigkeit, Professionalität und Bescheidenheit des Teams inspirierten mich unheimlich.

Nur wenige Wochen später verunglückte einer der Teilnehmer tragisch und vollkommen unverschuldet in den Bergen. Die schicksalhafte Art und Weise des Unfalls gab mir arg zu denken. Wenn dieser Perfektionist so um ́s Leben kommt, dann... . Ich hatte schon vorher Menschen aus meiner Nähe in den Bergen verloren, war oft genug selbst verletzt, dieses Mal war es anders, persönlicher obwohl wir uns gar nicht so lange oder gut kannten. Es war schwerer zu begreifen.
Ich ließ mir nicht nehmen, die Beerdigung zu besuchen, Ehrensache. Dort ein Baby am Grab, eine junge Familie zerrissen zu sehen, brach mir fast das Herz. Wie konnte ich nicht an meine Tochter denken, an meine Frau, meine Söhne? Fragen quälten mich. In nur zwei Wochen sollte der Flieger nach Grönland gehen, eine anspruchsvolle Expedition wartete... .

Ein weiteres Ereignis, das ich unter anderen Umständen gut verdauen hätte können, machte für mich den Tod sehr spürbar: etwa zur gleichen Zeit musste mein Hund eingeschläfert werden. Ich will nicht mißverstanden werden. Mir ist bewußt, dass ein Mensch ein Mensch und ein Hund ein Hund ist. Nach zwölf Jahren an meiner Seite war es für mich trotzdem unheimlich schwer zu spüren, wie ein Herz unwiederbringlich aufhört zu schlagen. Und irgendwie konnte mein Hirn nicht differenzieren. Ein Leben war zu Ende.

Der Tod und das Bewusstsein, dass er ein sehr realistisches Ergebnis des Lebens und des Alpinismus sein kann, begleiteten mich bis in den Schlaf.
Dabei ist nicht leichter, wenn man nicht nur zum Spaß klettert. Dabei meine ich nicht nur meinen Beruf. Seit meiner Kindheit sind Bergsteigen und Klettern ein roter Faden, an dem ich mich festhalte, eine wichtige Konstante und etwas, das ich ehrlich gern tue und leidlich gut kann, während mir vieles im normalen Leben zwischen Steuererklärung, Sozialkontakten und Etikette schwer fällt. Ich habe in den Bergen mehr gelernt wie an der Uni. Es ist nicht nur Hobby... .

Sechs Wochen später waren wir zurück zu Hause. Die Reise war ein Erfolg, ich konnte eine gute Arbeit machen und hart klettern. Aber viel wichtiger: alle kamen gesund zurück. Ich war zufrieden mit dem Ergebnis.
Nach wenigen Tagen bekam ich aber die Rechnung präsentiert. Der Prozess zu diesem Erfolg war emotional so erschöpfend, dass ich komplett ausgebrannt war. Trotzdem lief die Firma weiter, es musste sogar einiges aufgeholt werden. Die Familie war da, mit allen Freuden und Herausforderungen. Nur sehr mühsam konnte ich damit umgehen und diese Krise überwinden. Ich befürchte, meine Frau benötigte einige Geduld mit mir.
Aus dem Sommer wurde Herbst und Schritt für Schritt wurde aus der Krise ein Katalysator. Ich spürte wieder echte, ehrliche, intrinsische Motivation, unheimliche Freude am Klettern, an den Bergen, am Training, am Lernen, am Projekt. Mehr als jemals zuvor spürte ich, dass ich klettern, bergsteigen und mit Menschen in den Bergen arbeiten wollte und zwar so gut wie möglich. Ich hatte ein paar schwierige Fragen für mich beantwortet.

Der Name ist auch eine Widmung. Die sie verstehen, wissen wer und was gemeint ist. RIP

 

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Im Herbst hatte ich das Bedürfnis, ein Projekt allein und unabhängig anzugehen. Nicht rechtfertigen, nicht organisieren, keine Kompromisse, niemanden brauchen, niemandem vertrauen müssen, einfach mein Ding machen.

Nach einigen Vorbereitungen und Aufbaugegnern war das Ziel recht offensichtlich. Wenn ich auf meiner Dachterrasse sitze, sehe ich die Wand. Allerdings liegen zwischen meiner Terrasse und der Wand gut 1000Hm... . Fast schon lustig, zuerst in Grönland Erstbegehungen zu hinterlassen, um dann die Möglichkeiten vor der Haustür zu sehen.

Ich wollte in gutem Stil klettern. Alles allein und aus eigener Kraft, alles von unten, kein Erkunden, kein Abseilen, keine Fixseile, kein „Erschließen“. Ein Stil, der bei uns, auch nicht an der Gehrenspitze, nicht mehr selbstverständlich ist. Climbers Paradise, Click and Climb, Plaisir ... . Durchaus nachvollziehbar und an Schrofen ohne historischen Routen und im Klettergarten auch ok. Sehr schade allerdings, wenn tolle Wände kreuz und quer kaputtgebohrt werden, wo es sehr gut auch anders gehen würde, ein bisschen Abenteuergeist und Können vorausgesetzt.
Natürlich werden diese Erschließungen gern und oft wiederholt, verständlich, spricht auch nichts dagegen. Und natürlich lassen sich so leichter Tourenbücher, Webseiten, Foren und Führer füllen. Wie am Fließband quasi. Erst“begeh“ungen und guter alpiner Stil sind sie trotzdem nicht. Mit den heutigen Möglichkeiten sollte es doch möglich sein, in zumindest ähnlich gutem Stil Routen zu eröffnen wie die Erstbegeher der Routen in der gleichen Wand vor vielen Jahren. Und wenn nicht, dann halt später oder auch nicht. Aber ich schweife ab, wer bin ich, das zu beurteilen... es gab ja noch genug Platz für einen Gegenentwurf und meine Entscheidung hatte ich getroffen.

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Gerade nach diesen beiden Tagen verstehe ich, warum es verführerisch sein kann, aus dem Abseilsitz, am Fixseil und mit schwerem Gerät zu erschließen. Guter Stil ist einfach brutal anspruchsvoll. Aber das Ergebnis ist die Schinderei, die Angst, die Zweifel, mehr als wert. Denn eigentlich geht es nicht nur um das Ergebnis, sondern vielmehr auch um das, was der Prozess mit einem macht.

Die Kletterei im Rope Solo ins Unbekannte war intensiv, im Vorstieg erstbegehen, runter, wieder rauf. Aber gerade auch der Rahmen mit langem Zustieg, schwerem Rucksack, kurzen Tagen, Wintereinbruch, etc. war gar nicht ohne. Vor allem ist es schwer alles allein einschätzen und entscheiden zu müssen, aber auch verdammt schön. Früh raus und in die Nacht starten, ohne dass Dich jemand motiviert. Die nächsten Klettermeter clean zu klettern, obwohl die Bohrmaschine am Gurt ist. Alles sauber zu punkten, obwohl niemand zuschaut.

 

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Einen Schuss vor den Bug gab ́s zum Abschluss noch dazu. Am zweiten Tag kam ich recht spät und doch recht streichfähig am Gipfel an. Der Normalweg geht zuerst nordseitig über normalerweise recht entspannte Kraxlerei hinunter. In meinem Zustand und in dem des Weges, nämlich tief verschneit und vereist, war genau dort die Schlüsselstelle und die mit Abstand am gefährlichste Situation. Unfälle passieren selten in den schweren Längen. Wohl dem, der Pickel, Steigeisen (und eine Stirnlampe) durch die Wand zerrt und nicht am Wandfuß deponiert.

Die Tour ist erst dann zu Ende, wenn Dir deine Tochter entgegenwatschelt.

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Am Gipfel konnte ich mich noch nicht freuen. Zu Hause, als ich mit meiner Frau und meiner Tochter Kuchen essen konnte, weinte ich vor Freude und Trauer das erste Mal seit langem.
Ich freu mich auf das was kommt. Immer schön die Balance halten zwischen Chance und Risiko, Verantwortung und Unvernunft.

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